Erste Liebe: Wie damit umgehen, wenn die Kinder plötzlich «Gefühle» haben?
Plötzlich ist er oder sie da – der erste Freund oder die erste Freundin. Während der Sohn schüchtern Herzen ins Heft malt oder die Tochter glückselig durch die Welt schwebt, mag das uns Eltern vielleicht erst etwas überrumpeln. Wie damit umgehen, wenn die Kinder plötzlich «Gefühle» haben? Antworten von Jugendberater Stefan Egli.
Stefan Egli, was kann es in Eltern auslösen, wenn sich ihre Kinder verlieben? Veränderungen in der Gefühlswelt der Kinder können Irritationen und Ängste auslösen. Oft stellen Eltern bald ihr eigenes Verhalten in Frage: Müssen wir uns nun Sorgen machen? Machen wir alles richtig? Die Verliebtheit kann durchaus auch zu einem Vakuum in der Eltern-Kind-Beziehung führen.
Wie sollen Eltern mit der Verliebtheit umgehen?
Verliebt sein ist ein tolles Gefühl. Entsprechend dürfen Eltern das als etwas Positives spiegeln. Vielleicht fällt ihnen ein eigenes Erlebnis aus der Kindheit ein, das sie erzählen können; solche authentischen Momente wecken die Aufmerksamkeit des Kindes und schaffen Vertrauen. Meist geht die Verliebtheit auch mit Verhaltensveränderungen einher, beispielsweise mit Rückzug. Dies kann verunsichern. Doch es ist ratsam, dem Kind diesen Freiraum zuzugestehen. Zu Beginn geht es weniger darum, als Eltern «Ratschläge» zu erteilen, sondern viel mehr zu signalisieren: Wir nehmen dich ernst, respektieren deine Gefühle und sind bei Bedarf jederzeit für dich da.
Wie viel Nachfragen ist erlaubt?
Es gehört zu den Entwicklungsaufgaben von Jugendlichen dazu, dass sie sich von den Eltern ablösen. Ihr Lebensmittelpunkt verlagert sich vom Elternhaus weg zu den Peers. Das kann auch Auswirkungen auf die Hierarchie der Ansprechpersonen haben, sprich dass sie nicht mehr wie früher automatisch alles erzählen wollen. Die Eltern bleiben aber nichtsdestotrotz die wichtigsten Bezugspersonen! Sie dürfen daher auch in Liebesdingen weiterhin Interesse am Kind zeigen. Solange es keine überängstlichen, aufdringlichen oder kontrollierenden Fragen sind, gehört das zu einer gesunden Beziehung dazu.
Welche Regeln sind für beide Seiten rund um die erste Liebe hilfreich?
Liebe macht bekanntlich blind. Es ist daher wichtig, frühzeitig altersadäquate Regeln zu vereinbaren. Typische Punkte sind: Wie oft, wann und wie lange sind gegenseitige Besuche für alle stimmig? Welche Rückzugsorte dürfen die Jugendlichen haben? Wie lange dauern Ausgehzeiten? Welche Verpflichtungen (Schule, Freizeit, Haushalt etc.) müssen weiterhin eingehalten werden?
Was empfehlen Sie beim Thema Übernachten?
Wer wie und wann im Haus übernachtet, sind Aspekte, die die ganze Familie betreffen. Die Handhabung soll deshalb gut bedacht geregelt werden. Ein Patentrezept gibt es allerdings nicht. Ob nachts getrennte Zimmer oder gemeinsames Zimmer als Regel gewählt wird, hängt vom Alter und der Reife des Kindes ab, aber auch von der Dauer der Beziehung und dem Vertrauensverhältnis zu den Eltern. Auch die eigene Haltung darf bei dieser Frage mitspielen, schliesslich tragen Eltern nach wie vor die Verantwortung. Hilfreich bei der Handhabung kann der Austausch mit den Eltern der Freundin oder des Freundes sein. Wichtig ist, dass die Regeln transparent sind und dass dem Kind bei allen Überlegungen klar wird, dass es um seinen Schutz geht – und nicht um Kontrolle.
Die Aufklärung hat idealerweise bereits stattgefunden. Wie sollen Eltern das Thema Sexualität zum jetzigen Zeitpunkt aufgreifen?
Auch das Entdecken der Sexualität gehört zu den Entwicklungsaufgaben von Jugendlichen dazu. Gespräche über Verhütung, sexuelle Gewalt usw. sind abhängig davon, wie alt das Kind ist, wo es in seiner emotionalen Entwicklung steht und wie viel Vorwissen es bereits hat. Als Eltern können wir bei der ersten Liebe beispielsweise den Puls des Kindes fühlen, indem wir es fragen, welche Vorstellungen es von einer Beziehung hat und wie es zum Thema Sexualität steht. Aus den Antworten lässt sich meist gut einschätzen, wie ausgiebig sich das Kind damit schon auseinandergesetzt hat. Oft ergeben sich daraus gute Anknüpfungspunkte, um nicht-adäquate Vorstellungen zu Sex, Liebe usw. zu klären.
Wenn die Kinderzimmertüre zu ist, mag das Eltern mulmig fühlen lassen. Was hilft?
Genau wie die Jugendlichen haben auch Eltern in dieser Lebensphase gewisse Entwicklungsaufgaben zu bewältigen. Dazu gehört, das Kind loszulassen und die elterliche Kontrolle zu reduzieren. Dies gelingt am ehesten, wenn sie frühzeitig das offene Gespräch rund um die Liebe suchen und stets Interesse an der Beziehung zeigen. Entspannend oder inspirierend kann auch der Austausch mit Eltern in einer ähnlichen Situation sein.
Wie können sich Eltern verhalten, wenn die Auserwählten nicht so sind, wie erhofft?
Die Wahl in der Liebe liegt – gleich wie die Berufswahl – nicht in der Aufgabenkompetenz der Eltern. Ihre Aufgabe ist es aber, die Kinder auf dem Weg in ein selbstbestimmtes Leben zu begleiten und sie in den anstehenden Entwicklungsaufgaben zu unterstützen. Dies gilt auch, wenn Jugendliche Entscheidungen treffen, die nicht oder nur teilweise mit den elterlichen Vorlieben übereinstimmen. Wenn die Freundin oder der Freund nicht ins eigene Schema passt, ist es daher wichtig, in Beziehung zum Kind zu bleiben und die neue Person an seiner Seite kennenzulernen.
Und wenn die grosse Liebe überraschend ein Er oder eine Sie ist, während die Eltern das andere Geschlecht erwartet hätten?
Ist man überrascht, darf man diese Empfindung durchaus zulassen. So bleiben Eltern authentisch. Dabei ist allerdings das nötige Feingefühl gefragt. Hat es Platz, die Überraschung sofort in Worte zu fassen? Oder lohnt es sich, die neue Situation erst einmal auf sich ruhen zu lassen? Damit die Beziehung zum Kind weiterhin stark bleibt, ist die Botschaft entscheidend: Du darfst in unserer Familie dich selbst sein, wir lieben dich bedingungslos. Diese Gewissheit ist für ein Kind wohl die grösste Sicherheit für ein Coming-Out. Merken Eltern, dass ihnen der offene Austausch mit dem Kind schwerfällt, kann es für beide Seiten entlastend sein, externe Hilfe beizuziehen. In unserer Beratung im Zentrum Breitenstein unterstützen wir zum Beispiel Jugendliche aus dem Bezirk Andelfingen gerne bei allen Themen rund um Jugend und Sexualität. Eltern finden Unterstützung bei den Erziehungsberaterinnen und Erziehungsberatern des Kinder- und Jugendhilfezentrums (kjz) in ihrer Region und auch andere Fachstellen helfen weiter.
Was tun, wenn wegen der grossen Liebe Schule, Familie oder Freunde vernachlässigt werden?
Das Ausprobieren von intimen Beziehungen gehört zu dieser Lebensphase dazu – die Schule oder die Beziehung zu Freunden und Familie aber auch. Daher ist es wichtig, dem Kind bestehende Missverhältnisse zu spiegeln und wo nötig Änderungen einzufordern. Hilfreich kann auch sein, die Eltern der Freundin oder des Freundes auf die ungünstige Entwicklung anzusprechen. Ändert sich nichts, unterstützen wir ebenfalls gerne mit einer Beratung.
Und wenn plötzlich alles aus ist, welches Verhalten empfehlen Sie dann?
Was auch immer zum Beziehungsende geführt haben mag – das Wichtigste ist, für das Kind da zu sein. Dabei gibt es viele Formen, Trost zu spenden. Manchmal reicht es aus, das Kind in den Arm zu nehmen oder ihm einfach zuzuhören. Auch ein temporärer Rückzug gilt es, ohne grosse Worte zu respektieren. Das Kind wird in der Regel von sich aus signalisieren, wenn es Austausch braucht. Handlungsbedarf und allfällige externe Hilfe sind angezeigt, wenn sich ein Kind dauerhaft zurückzieht respektive vom sozialen Umfeld isoliert.
Original erschienen am 15.11.2022 in fürslebengut.ch
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