Impulse
Interview

Erste Liebe: Wie damit umgehen, wenn die Kinder plötzlich «Gefühle» haben?

Von
Martina Friedli
April 3, 2024
5
min Lesezeit
Beitragende
Martina Friedli
Autorin
Stefan Egli
Jugendberater
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Plötz­lich ist er oder sie da – der erste Freund oder die erste Freun­din. Während der Sohn schüch­tern Herzen ins Heft malt oder die Tochter glück­se­lig durch die Welt schwebt, mag das uns Eltern viel­leicht erst etwas über­rum­peln. Wie damit umgehen, wenn die Kinder plötz­lich «Gefühle» haben? Antwor­ten von Jugend­be­ra­ter Stefan Egli.

Stefan Egli, was kann es in Eltern auslö­sen, wenn sich ihre Kinder verlie­ben? Verän­de­run­gen in der Gefühls­welt der Kinder können Irri­ta­tio­nen und Ängste auslö­sen. Oft stellen Eltern bald ihr eigenes Verhal­ten in Frage: Müssen wir uns nun Sorgen machen? Machen wir alles richtig? Die Verliebt­heit kann durch­aus auch zu einem Vakuum in der Eltern-Kind-Bezie­hung führen.

Wie sollen Eltern mit der Verliebt­heit umgehen?
Verliebt sein ist ein tolles Gefühl. Entspre­chend dürfen Eltern das als etwas Posi­ti­ves spie­geln. Viel­leicht fällt ihnen ein eigenes Erleb­nis aus der Kind­heit ein, das sie erzäh­len können; solche authen­ti­schen Momente wecken die Aufmerk­sam­keit des Kindes und schaf­fen Vertrauen. Meist geht die Verliebt­heit auch mit Verhal­tens­ver­än­de­run­gen einher, beispiels­weise mit Rückzug. Dies kann verun­si­chern. Doch es ist ratsam, dem Kind diesen Frei­raum zuzu­ge­ste­hen. Zu Beginn geht es weniger darum, als Eltern «Ratschläge» zu ertei­len, sondern viel mehr zu signa­li­sie­ren: Wir nehmen dich ernst, respek­tie­ren deine Gefühle und sind bei Bedarf jeder­zeit für dich da.

Wie viel Nach­fra­gen ist erlaubt?
Es gehört zu den Entwick­lungs­auf­ga­ben von Jugend­li­chen dazu, dass sie sich von den Eltern ablösen. Ihr Lebens­mit­tel­punkt verla­gert sich vom Eltern­haus weg zu den Peers. Das kann auch Auswir­kun­gen auf die Hier­ar­chie der Ansprech­per­so­nen haben, sprich dass sie nicht mehr wie früher auto­ma­tisch alles erzäh­len wollen. Die Eltern bleiben aber nichts­des­to­trotz die wich­tigs­ten Bezugs­per­so­nen! Sie dürfen daher auch in Liebes­din­gen weiter­hin Inter­esse am Kind zeigen. Solange es keine über­ängst­li­chen, aufdring­li­chen oder kontrol­lie­ren­den Fragen sind, gehört das zu einer gesun­den Bezie­hung dazu.

Welche Regeln sind für beide Seiten rund um die erste Liebe hilf­reich?
Liebe macht bekannt­lich blind. Es ist daher wichtig, früh­zei­tig alters­ad­äquate Regeln zu verein­ba­ren. Typi­sche Punkte sind: Wie oft, wann und wie lange sind gegen­sei­tige Besuche für alle stimmig? Welche Rück­zugs­orte dürfen die Jugend­li­chen haben? Wie lange dauern Ausgeh­zei­ten? Welche Verpflich­tun­gen (Schule, Frei­zeit, Haus­halt etc.) müssen weiter­hin einge­hal­ten werden?

Was empfeh­len Sie beim Thema Über­nach­ten?
Wer wie und wann im Haus über­nach­tet, sind Aspekte, die die ganze Familie betref­fen. Die Hand­ha­bung soll deshalb gut bedacht gere­gelt werden. Ein Patent­re­zept gibt es aller­dings nicht. Ob nachts getrennte Zimmer oder gemein­sa­mes Zimmer als Regel gewählt wird, hängt vom Alter und der Reife des Kindes ab, aber auch von der Dauer der Bezie­hung und dem Vertrau­ens­ver­hält­nis zu den Eltern. Auch die eigene Haltung darf bei dieser Frage mitspie­len, schliess­lich tragen Eltern nach wie vor die Verant­wor­tung. Hilf­reich bei der Hand­ha­bung kann der Austausch mit den Eltern der Freun­din oder des Freun­des sein. Wichtig ist, dass die Regeln trans­pa­rent sind und dass dem Kind bei allen Über­le­gun­gen klar wird, dass es um seinen Schutz geht – und nicht um Kontrolle.

Die Aufklä­rung hat idea­ler­weise bereits statt­ge­fun­den. Wie sollen Eltern das Thema Sexua­li­tät zum jetzi­gen Zeit­punkt aufgrei­fen?
Auch das Entde­cken der Sexua­li­tät gehört zu den Entwick­lungs­auf­ga­ben von Jugend­li­chen dazu. Gesprä­che über Verhü­tung, sexu­elle Gewalt usw. sind abhän­gig davon, wie alt das Kind ist, wo es in seiner emotio­na­len Entwick­lung steht und wie viel Vorwis­sen es bereits hat. Als Eltern können wir bei der ersten Liebe beispiels­weise den Puls des Kindes fühlen, indem wir es fragen, welche Vorstel­lun­gen es von einer Bezie­hung hat und wie es zum Thema Sexua­li­tät steht. Aus den Antwor­ten lässt sich meist gut einschät­zen, wie ausgie­big sich das Kind damit schon ausein­an­der­ge­setzt hat. Oft ergeben sich daraus gute Anknüp­fungs­punkte, um nicht-adäquate Vorstel­lun­gen zu Sex, Liebe usw. zu klären.

Wenn die Kinder­zim­mer­türe zu ist, mag das Eltern mulmig fühlen lassen. Was hilft?
Genau wie die Jugend­li­chen haben auch Eltern in dieser Lebens­phase gewisse Entwick­lungs­auf­ga­ben zu bewäl­ti­gen. Dazu gehört, das Kind loszu­las­sen und die elter­li­che Kontrolle zu redu­zie­ren. Dies gelingt am ehesten, wenn sie früh­zei­tig das offene Gespräch rund um die Liebe suchen und stets Inter­esse an der Bezie­hung zeigen. Entspan­nend oder inspi­rie­rend kann auch der Austausch mit Eltern in einer ähnli­chen Situa­tion sein.

Wie können sich Eltern verhalten, wenn die Auser­wähl­ten nicht so sind, wie erhofft?
Die Wahl in der Liebe liegt – gleich wie die Berufs­wahl – nicht in der Aufga­ben­kom­pe­tenz der Eltern. Ihre Aufgabe ist es aber, die Kinder auf dem Weg in ein selbst­be­stimm­tes Leben zu beglei­ten und sie in den anste­hen­den Entwick­lungs­auf­ga­ben zu unter­stüt­zen. Dies gilt auch, wenn Jugend­li­che Entschei­dun­gen treffen, die nicht oder nur teil­weise mit den elter­li­chen Vorlie­ben über­ein­stim­men. Wenn die Freun­din oder der Freund nicht ins eigene Schema passt, ist es daher wichtig, in Bezie­hung zum Kind zu bleiben und die neue Person an seiner Seite kennen­zu­ler­nen.

Und wenn die grosse Liebe über­ra­schend ein Er oder eine Sie ist, während die Eltern das andere Geschlecht erwar­tet hätten?
Ist man über­rascht, darf man diese Empfin­dung durch­aus zulas­sen. So bleiben Eltern authen­tisch. Dabei ist aller­dings das nötige Fein­ge­fühl gefragt. Hat es Platz, die Über­ra­schung sofort in Worte zu fassen? Oder lohnt es sich, die neue Situa­tion erst einmal auf sich ruhen zu lassen? Damit die Bezie­hung zum Kind weiter­hin stark bleibt, ist die Botschaft entschei­dend: Du darfst in unserer Familie dich selbst sein, wir lieben dich bedin­gungs­los. Diese Gewiss­heit ist für ein Kind wohl die grösste Sicher­heit für ein Coming-Out. Merken Eltern, dass ihnen der offene Austausch mit dem Kind schwer­fällt, kann es für beide Seiten entlas­tend sein, externe Hilfe beizu­zie­hen. In unserer Bera­tung im Zentrum Brei­ten­stein unter­stüt­zen wir zum Beispiel Jugend­li­che aus dem Bezirk Andel­fin­gen gerne bei allen Themen rund um Jugend und Sexua­li­tät. Eltern finden Unter­stüt­zung bei den Erzie­hungs­be­ra­te­rin­nen und Erzie­hungs­be­ra­tern des Kinder- und Jugend­hil­fe­zen­trums (kjz) in ihrer Region und auch andere Fach­stel­len helfen weiter.

Was tun, wenn wegen der grossen Liebe Schule, Familie oder Freunde vernach­läs­sigt werden?
Das Auspro­bie­ren von intimen Bezie­hun­gen gehört zu dieser Lebens­phase dazu – die Schule oder die Bezie­hung zu Freun­den und Familie aber auch. Daher ist es wichtig, dem Kind bestehende Miss­ver­hält­nisse zu spie­geln und wo nötig Ände­run­gen einzu­for­dern. Hilf­reich kann auch sein, die Eltern der Freun­din oder des Freun­des auf die ungüns­tige Entwick­lung anzu­spre­chen. Ändert sich nichts, unter­stüt­zen wir eben­falls gerne mit einer Bera­tung.

Und wenn plötz­lich alles aus ist, welches Verhal­ten empfeh­len Sie dann?
Was auch immer zum Bezie­hungs­ende geführt haben mag – das Wich­tigste ist, für das Kind da zu sein. Dabei gibt es viele Formen, Trost zu spenden. Manch­mal reicht es aus, das Kind in den Arm zu nehmen oder ihm einfach zuzu­hö­ren. Auch ein tempo­rä­rer Rückzug gilt es, ohne grosse Worte zu respek­tie­ren. Das Kind wird in der Regel von sich aus signa­li­sie­ren, wenn es Austausch braucht. Hand­lungs­be­darf und allfäl­lige externe Hilfe sind ange­zeigt, wenn sich ein Kind dauer­haft zurück­zieht respek­tive vom sozia­len Umfeld isoliert.

Original erschienen am 15.11.2022 in fürslebengut.ch

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